Heike Mutter und Ulrich Genth
Second Nature
16. August 2013 bis 31. Juli 2014
Im Zentrum von Mutter und Genths für das Treppenhaus entwickelter Skulptur Second Nature (2013) steht das immaterielle Medium Licht; ein künstliches Licht, das wie kaum ein anderes Medium in den letzten hundert Jahren unseren Lebensraum revolutioniert hat. Vom Boden bis zur Decke erstreckt sich im Innern des Treppenaufgangs eine 17 Meter lange, hell erstrahlende Helix aus unterschiedlich langen und verschiedenfarbigen Leuchtstoffröhren. Die sich um eine zentrale Achse windende Formation greift die zirkuläre Struktur des Treppenaufgangs auf und erzeugt durch ihre entgegengesetzte Drehrichtung zugleich einen spannungsvollen Dialog. Während die räumliche Ausdehnung der Lichtskulptur in regelmäßigen Abständen zu- und abnimmt und mit den verschiedenen Ebenen des Treppenhauses korrespondiert, verwandelt der Einsatz fünf verschiedener Lichtfarben die unterschiedlichen Höhenniveaus in eine pulsierende Lichtsphäre, die sich beim Begehen des Treppenaufgangs variantenreich entfaltet und die Wahrnehmung des umgebenden Raums beeinflusst. Dabei wird die vertikale Ausrichtung des architektonischen Raumkörpers durch die skulpturale Komposition nicht nur betont und dynamisiert, sondern buchstäblich gedoppelt, da die aufstrebende Lichtskulptur an der Decke gespiegelt und scheinbar über den Realraum hinaus fortgesetzt wird – wie eine Lichttreppe, die ins Unendliche führt. Durch den Abstand zwischen den einzelnen Leuchtstoffröhren erzeugt das Künstlerduo ein doppeldeutiges Bild: so weckt der Blick von oben auf die Skulptur Assoziationen an eine seltsam verdrehte Jalousie, während in entgegengesetzter Richtung, von unten, der Eindruck eines gigantischen Leuchters entsteht.
Die für die Installation verwendeten Leuchten mit rosa-rotem bis weiß-grünem Farbspektrum stammen aus dem Bereich der Warenpräsentation, in der die effektvolle Lichtdramaturgie ein wichtiges Instrument der Verkaufsförderung ist. Mutter und Genth greifen die Ambivalenz im Einsatz von Licht auf, das je nach Kontext unterschiedliche Anwendung erfährt. So intensivieren spezielle Lichttemperaturen und -farben Rottöne und lassen Fleischwaren besonders frisch und appetitlich erscheinen, während sie in Kosmetiksalons benutzt werden, um Hautunreinheiten für die Behandlung sichtbar zu machen. Während im Handelszusammenhang das sogenannte „Candy-Pink“ eingesetzt wird, um Waren perfekt in Szene zu setzen, wurde das pinkfarbene Licht in England bei beliebten Treffpunkten von Jugendlichen wie Unterführungen eingesetzt, um die gegenteilige Wirkung zu erzeugen und sie durch das unvorteilhafte Erscheinungsbild ihrer Gesichtshaut von diesen Orten zu vertreiben.
In Second Nature wird Licht, das vor allem manipulativ konsumfördernd aber auch gesellschaftlich regulierend eingesetzt wird zum Anschauungsobjekt und das Spektrum dieser Lichtfarben erfahrbar. Während im Kontext Produktpräsentation das Licht im Verborgenen platziert ist und eine subtile Wirkung entfaltet, forcieren Mutter und Genth in ihrer Lichtinstallation eine bewusste physische Erfahrung. Lichteigenschaften die zwar allgegenwärtig sind aber normalerweise nicht als solche wahrgenommen werden und sich somit einer farblichen Einordnung entziehen entwickeln in Second Nature eine eindringliche, nahezu aggressive Präsenz, die die Wahrnehmungsgewohnheiten nachhaltig irritiert. Letztendlich wird der Betrachter in Second Nature selbst zum ausgeleuchteten Konsumenten.